Sinnesmaschinen

Jan Claas Van Treeck “Sinnesmaschinen”

Wir selbst sind bereits geregelte Automaten. Herzschlag, Verdauung, Hormonzyklen, Atmung bestimmen uns in ihrer selbstregulierenden Regelhaftigkeit und rahmen das, was wir von der Welt wahrzunehmen glauben.Vielleicht ist die Kybernetik stets das unausgesprochene und lange unbewusste Skelett der Kunst von Susanna Hertrich gewesen. Ihre Kunst ist eine Kunst für das technologische Jetzt, die darum weiß, dass die Kybernetik zwar einerseits historisch geworden ist, andererseits ihre Prinzipien längst die Grundlage unserer digitalen und vernetzten Welt sind.

Wo die Kybernetik den Menschen radikal als System dachte, das gleichberechtigt in Umwelten und Verbünden mit anderen Systemen existiert und sich eben nicht nur biologisch-evolutionär, sondern auch technisch weiterentwickelt bis zu dem Punkt, wo Mensch und Technik untrennbar geworden sind., da beschrieb die historische Kybernetik von Wiener, Schmidt und Steinbuch vielleicht nur das alltägliche Jetzt. Aber waren Technik und Mensch je trennbar, oder haben wir nur vergessen diese Verschaltung zu sehen? Gilt es vielleicht wieder sehen zu lernen oder zu neu zu konstruieren?

Hertrichs „Robot“ wirkt etwa befremdlich, aber vielleicht ist es nur eine Sichtbarmachung von „affective computing“, von Pflege- und Wohlfühltechnologien, die längst konsumiert werden. Es ist ein provozierender Blick, der nur möglich wird, weil hier Susanna Hertrich für uns neu schaut und einen neuen Blick ermöglicht. Gleiches gilt für die Interspecies-Serie, die wir als Fotos sehen. Ist das nur die spekulative Weiterschreibung der Gedanken- und Tatenexperimente, die nicht erst seit CRISPR/Cas möglich sind? Denn nicht nur die Verschaltung von Mensch und Maschine ist möglich, sondern auch die von Mensch und Tier, als vielleicht logische Anpassung an Umwelten, die längst technische geworden sind. Die Bilder von Mensch-Tier-Hybriden wären dann also der Blick auf eine kommende Normalität, die uns noch gerade ihre Konstruiertheit, ihre Künstlichkeit als Kunst offenbart.

Und an diesem Punkt muss man sich fragen, ob die Kybernetik als eine Erklärung für die Kunst von Susanna Hertrich ausreicht. Denn wenn sie Kunst ist, für unser Zeitalter, das Anthropozän, das eigentlich ein Technozän ist, dann ist Hertrichs Kunst längst mit der Kybernetik über die Kybernetik hinaus gegangen. Wo die Feedback-Loops unserer alltäglichen kybernetischen Systeme auf Effizienzsteigerung und damit Schließung drängen, führt Hertrich sie wieder aufs Neue in unser Denken ein, schließt sie auf, anstatt ab, macht sie wieder – oder vielleicht überhaupt erst – erfahrbar. Deshalb oszillieren viele ihrer Arbeiten so sehr zwischen einer beunruhigenden Realitätsnähe und erkennbarer Spekulation.

Aber dabei bleibt stets die Frage nach den Sinnen, die in der Ausstellung in den zent- ralen Fokus Gerät. Wenn wir bereits Systeme sind, deren Sinne mit anderen Systemen vergleich- und koppelbar werden, was können wir dann wahrnehmen und wieviel von dieser Wahrnehmung ist dann bereits „gemacht“ – eine „Apparent Sensory Perception“, wie es eine leuchtreklameartige Schrift benennt. Und könnte diese „Apparent Sensory Perception“ , wie Willian Gibson sie in seiner Kurzgeschichte „Fragmente einer Hologramm-Rose“ beschreibt, nicht vielleicht auch ein Produkt sein, das käuflich wäre und seinen Markt sofort finden würde?

Es ist der beständige Verweis auf Sinne, mit dem uns Hertrich vielleicht auf die Sinne selbst stoßen will, jene Bewegung des Wiedereintritts der Wiederbefragung, wenn ich in der Sehmaschine eben nur mein eigenes Auge sehe, meine ureigenste biologische Seh- maschine, deren Grenzen mir so gut wie nie gewahr werden. Wie wenig Sinn machen diese Sinne überhaupt?

Als Kunst des Technozäns zeigen Hertrichs Objekte und Bilder hier bereits die Notwendigkeit für neue Sinne – Sinne für Technik, denn die Effizienz unserer Maschinenwelt liegt darin, dass sie den Menschen nur noch wenig behelligt. Wir müssen nicht programmieren können, um Apps zu nutzen. Die technomathematischen Prozesse kommunizieren mit uns durch die menschliche Wärme von optischen, haptischen und akustischen Interfaces, die gnädig für uns gestaltet wurden. Hinter diese Welt der Interfaces gibt es fast keine Wege mehr, keine Pfade, die unsere Sinne in diesen Territorien finden könnten. War Technik einst eine Möglichkeit sich seine Umwelt lebensfreundlicher zu gestalten, hat die Gestaltung längst eine neue Umwelt geschaffen, hat das, was wir als Umwelt wahrzunehmen glauben, erst mit einer technischen und dann mit einer technomathematischen Schicht überzogen. Der zweiten Natur folgte so die dritte. Technik ist längst die einzige Umwelt, die wir haben, sie ist alltäglich und bequem, unwahrnehmbar, subkutan.

So gibt uns die Technik gibt inzwischen Antworten, auf die wir noch überhaupt keine Fragen entwickelt haben. Wir müssen erst lernen, sie zu stellen, sie stellbar zu machen. Die kriegerische Uniform aus Hertrichs Projekt „Brighter than A Thousand Suns“ ist vielleicht ein Entwurf, die Vorbereitung einer Frage. Diese Frage wäre die nach den nicht sinnlich erfahrbaren Gefahren einer technologischen Welt, die ursprünglich vom Menschen entworfen, sich nun vielleicht maliziöse emanzipiert. Als nukleare Katastrophe, Klimaerwärmung oder algorithmischer Flash-Crash. Die Technik, die einst eine Anpassung an die Feindlichkeit natürlicher Umwelten war, ist nun zu einer neuen Umwelt geronnen, die wiederum feindlich sein kann. Für diese neue Welt fehlen uns eben die Sinne, die Rituale – wir müssen sie uns erst bauen, wenn wir nicht in ihr untergehen wollen, gefangen in einer „Apparent Sensory Perception“.

Aber wie tief müsste diese Veränderung gehen? Der historische Verweis auf den Text von Karl-Ernst von Baer, den Hertrich zum Titelgeber ihrer Ausstellung macht, verweist auf die zeitliche Dimension der Sinne. In einer Zeitgenossenschaft mit Tieren und Maschinen sind Begegnungen auch immer Begegnungen von Zeitregimen in der Zeit. Und diese Zeitregime, die für unsere Sinne unerfahrbar bleiben, jene Megahertz-Raten der Rechenmaschinen, die unserer Leben bevölkern, bleiben uns bisher ebenso ver- schlossen wie der Lebens- und damit Zeithorizont der Eintagsfliege.
Wenn also die Maschinen, die uns umgeben vor allem zeitkritische Maschinen sind, deren Sein erst durch die Erzeugung von Takten zustande kommt, Takten die weit über- halb menschlicher Wahrnehmungsschwellen liegen, dann müssen unsere neuen Sinne auch Zeitsinne werden.

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Reader for solo-exhibition “On the Dependence of our World View on the Duration of our Moment”, Mannheimer Kunstverein 2018

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